Wofür lohnt es sich zu sterben?

Allerheiligen, Allerseelen, Volkstrauertag, Heldengedenktag, Totensonntag. Mit dem heutigen Totensonntag geht das Kirchenjahr zu Ende. Der einstige Heldengedenktag, der ursprünglich den im Krieg Gefallenen gewidmet war, ist gestrichen und wurde ersetzt durch den Volkstrauertag. Denn nach dem gegenwärtigen zeitgeistigen Empfinden leben wir im postheroischen Zeitalter. Helden werden nicht mehr benötigt; warum sollte man also um ihretwillen eine Gedenkkultur bewahren?  Oder, um den ehemaligen Außenminister und Vizekanzler Joschka Fischer zu zitieren: „Deutsche Helden müsste die Welt, tollwütigen Hunden gleich, einfach totschlagen.“  

Nach verbreiteter Auffassung war und ist ein Held jemand, der sich selbst uneigennützig in Gefahr begibt um anderen Menschen beizustehen, zu retten oder sonst wie vor Unbill zu bewahren.  Kriegsteilnehmern, die im Kampf gefallen sind oder verwundet wurden, hatte man in vergangener Zeit generell den Heldenstatus zuerkannt. Denn nach gängiger Deutung kämpften sie ja nicht für sich, sondern für das Vaterland, oftmals als Freiwillige.  Diese Empfindung ist keine deutsche Erfindung. Die Begräbnisstätte Arlington in den USA etwa ist weltbekannt als „Heldenfriedhof“. Heldenverehrung hat eine lange Tradition in der Menschheitsgeschichte und ist eng mit dem Begriff von Ehre verbunden. „Dulce et decorum est pro patria mori“ buchstabierten die Römer. „Es ist süß und ehrenvoll für das Vaterland zu sterben“. Alte Mythen und Sagen in nahezu jeder Kultur haben ihre eigenen Heldenerzählungen.

Man mag darüber sinnieren, ob der Hang zum Heldentum den Menschen in die Wiege gelegt wurde oder ob es sich um eine Sozialisierung handelt. Vermutlich wirkt beides zusammen. In der frühen Menschheitsgeschichte, als man zunächst in kleinen Gruppen, später in Stammesverbänden lebte, da war es überlebenswichtig sich im Kampf zu behaupten. Dazu brauchte es Kämpfer. Oft hing das Überleben der ganzen Gemeinschaft davon ab, ob man sich erfolgreich gegen den Feind behaupten konnten. Im Überlebensfall drohte der Verlust von Freiheit, Gefangenschaft und Versklavung. Günstigstenfalls war es nur der Verlust von Besitz und dann die Tributpflicht.

Diese archaischen Zustände haben wir, von einzelnen Ausnahmen abgesehen, in der zivilisierten Welt hinter uns gelassen. Trotzdem unterhalten Staaten Streitkräfte und fordern im Ernstfall von ihren Soldaten Gehorsam ein. Die moderne Kriegführung beschränkt sich nicht nur auf die kämpfende Truppe, auch die Zivilbevölkerung ist massiv betroffen und oftmals sogar das Angriffsziel.

Wofür und für was lohnt es sich überhaupt zu kämpfen? Die Frage ist berechtigt, schließlich geht es um nichts weniger das eigene Leben.

„Lieber Rot als tot!“ war die schlüssige Antwort für weite Teile der bundesrepublikanischen Gesellschaft zur Zeit des kalten Krieges zwischen Ost und West. „Mourir pour Dantzig?“ fragte man sich in Frankreich am Vorabend des Eintritts in den zweiten Weltkrieg.  

Das tatsächliche Kriegsgeschehen ist viel blutiger, grausamer und brutaler als es Presse, Funk und Fernsehen den Leser oder Betrachter zeigen. Man sieht zwar Trümmer, Tote, Verwundete. Das Schreien der Verletzten, der zuckende Todeskampf, die abscheulichen Bilder zerfetzter Körper, der Brandgeruch verkohlter Leichen, der Gestank der Verwesung: all das wird dem Betrachter im bequemen Fernsehsessel vorenthalten. Krieg kommt aus dem Bildschirm herüber wie ein Computerspiel. Nimmt es da wunder, wenn leichtfertig gezündelt wird?

Wie hoch muss der Preis sein, um Menschen dafür in den Tod zu schicken?   Wofür lohnt es sich zu sterben?