Viel Lärm um Limburg
Veröffentlicht: 16. Oktober 2013 Abgelegt unter: Skurriles, Besinnliches, Vermischtes, Tagebuch Ein Kommentar
Franz-Peter Tebartz-van Elst, Bischof von Limburg, ist als Buhmann der Nation zum deutschen Medienstar avanciert. Präsent auf allen Kanälen in Rundfunk und Fernsehen, auf den Titelblättern der Gazetten. Keine Nachrichtensendung , keine Zeitungsausgabe, in der nicht täglich sein Name genannt wird. Und so geht es nun schon seit Wochen. Der banale Grund: Ausufernde Kosten beim Umbau und Ausbau von Nebengebäuden rund um den Limburger Dom. Einunddreißig Millionen wurden da verbaut. Inzwischen ist sogar Anklage wegen Untreue erhoben worden.
Nun sind Kostenüberschreitungen bei öffentlichen Bauprojekten in dieser Republik an der Tagesordnung. Egal ob Berliner Flughafen, Stuttgarter Bahnhof oder Philharmonie in Hamburg. Und das sind nur einige Beispiele. Dort geht es um Milliarden, nicht um Millionen. Steuergelder natürlich, keine Kirchensteuern.
Ältere werden sich noch an das Münchener Olympiadach anno 1972 erinnern. Mit fünf Millionen Mark veranschlagt, standen schließlich zweihundert Millionen auf der Schlussrechnung. Das Ganze hat irgendwie Tradition. Damals wurde niemand zur Rechenschaft gezogen. Alle freuten sich auf Olympia.
Was macht das bescheidene Limburg so einzigartig, daß sich nun sogar die evangelische mitteldeutsche Pfarrerstochter und heutige Kanzlerin zu Wort meldet? Wörtlich: →„Eine große Belastung“.
Schon erstaunlich, werden in dieser Republik doch an vielen anderen Stellen mit schöner Regelmäßigkeit täglich viele Millionen und Milliarden versenkt. Nur in ganz wenigen, sehr seltenen Fällen wurde Anklage erhoben. Dabei haben in den letzten Jahren Kommunen sowie kommunale Unternehmen und Einrichtungen Milliarden an Euros verzockt. Stichworte: Cross-Border-Leasing und Zinswetten, also Finanzspekulation. Mit den Geld der Bürger, aus dem Portemonnaie der Steuerzahler. Wo blieb der mediale Aufschrei? Warum wurde kein Staatsanwalt aktiv? Ist es statthaft, städtisches Eigentum wie Straßenbahnnetze, Kläranlagen, Abwasserkanäle und Straßenlaternen ins Ausland zu verscherbeln?
Beispiel Leipzig: Dort schädigte der Direktor der städtischen Wasserversorgung zusammen mit Komplizen die Stadt mit Spekulationsgeschäften um mindestens 90 Millionen Euro, möglicherweise übersteigt der Schaden demnächst noch die Dreihundert Millionen-Marke. Drei Millionen hatte der Herr Direktor vorher als Provision für sich abgezweigt. Sein Pech: Man konnte ihm das nachweisen. Und so wanderte er zunächst in den Knast, ist aber schon wieder frei. Merkwürdig: Außerhalb Leipzigs hatte dieses Allerlei niemanden interessiert. Nur die →Leipziger Volkszeitung berichtete darüber, sowie die Stuttgarter Zeitung in einer kurzen →Notiz.
Offenbar liegt der evangelischen Kanzlerin aus der Uckermark das katholische Limburg näher am Herzen als das sächsische Leipzig. Jedenfalls ist kein Kommentar von ihr zu den dortigen Vorgängen überliefert.
Beispiel Remscheid: 20 Mio € Verlust durch Zinswetten. Keine Anklage. Partner beim Spekulieren: Die allseits bekannte WestLB. http://www.rp-online.de/bergisches-land/remscheid/nachrichten/stadt-klagt-weiter-wegen-zinswetten-1.3099200
Beispiel Hagen: 39 Mio € Verlust durch Zinswetten. Keine Anklage. Partner beim Spekulieren: Die Deutsche Bank. http://www.welt.de/welt_print/finanzen/article5556486/Zinswette-Stadt-Hagen-schliesst-Vergleich-mit-der-Deutschen-Bank.html
Beispiel Pforzheim: 56 Mio € Verlust durch Zinswetten. Keine Anklage. Aus: http://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2011/33941236_kw14_pa_finanzen/
Diese Liste lässt sich beliebig fortsetzen. Wie schreibt das Handelsblatt: Zinswetten bergen Sprengstoff für Tausende Städte. Und weiter:
Dem Steuerzahler droht ein Desaster: Nicht nur die Deutsche Bank hat Städte und Kommunalunternehmen zu hochriskanten Zinsgeschäften verführt. Es geht um zweistellige Milliardenbeträge.
Hier der ganze Text: http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/milliardenrisiko-zinswetten-bergen-sprengstoff-fuer-tausende-staedte/4534802.html
Merkwürdig: Offenbar interessiert sich niemand dafür, ob nicht doch bei dem einen oder anderen dieser dubiosen Geschäfte Korruption im Spiel war. Immerhin fließen bei dieser Art von Transaktionen üppige Provisionen. Ob da nicht der eine oder andere Euro in den Taschen von Politikern gelandet ist? Aber Staatsanwälte sind in diesem Land weisungsgebunden gegenüber den jeweiligen Justizministern, und die sind selber…na was wohl? … Politiker. Wie lautete das Sprichwort von den Krähen und dem Auge? Abgesehen davon: Warum um alles in der Welt wird eigentlich mit Steuerzahlers Geld spekuliert?
Szenenwechsel: Zinswetten waren nicht das einzige Spielzeug für Kommunalpolitiker, um die Steuergroschen ihrer Untertanen zu verzocken. Stichwort: →Cross Border Leasing. Auf Deutsch: Das Anlagevermögen der Gemeinden und städtischen Einrichtungen wie Busse und Bahnen, Gebäude, Straßenbeleuchtung oder Wasserversorgung wird ins Ausland verscherbelt. Angeblich mit Gewinn. Tatsächlich aber mit großen Verlusten. Der Schaden: Ebenfalls mehrere Milliarden.
Ein Expertenforum klärt auf, wie da getrickst wird:
Cross-Border-Leasing funktioniert auf der Basis von Verschwiegenheit und Geheimhaltung. Kein einziger Vertrag der etwa 180 inzwischen in allen deutschen Großstädten getätigten Cross-Border-Geschäfte mit einem Gesamtvolumen von ca. 200 Milliarden Euro wurde bisher offengelegt. Und weiter: Die gesamten im Rahmen einer Transaktion abgeschlossenen Verträge umfassen regelmäßig etwa 70 Dokumente mit einem Gesamtumfang von etwa 1.500 bis 1.700 Seiten. Dies widerspricht entschieden der Mär, wonach die Stadt und der Investor einen Vertrag abschließen, vielmehr handelt es sich um einen Vertrag und den daraus resultierenden Abhängigkeiten zwischen einem Dutzend Vertragspartnern, von denen die Stadt nur einer und gewiß nicht der wichtigste ist. Auch wir konnten bis heute keines dieser Vertragspapiere einsehen und berufen uns hiermit ausdrücklich auf Nichtwissen. Diese Einsicht wird selbst mit Hinweis auf das Informationsfreiheitsgesetz des Landes NRW abgelehnt, wie in Gelsenkirchen geschehen.
Aus: http://www.cross-border-wuppertal.de/intro.htm
Zurück nach Limburg: Dort hält man dem Bischof „mangelnde Transparenz“ vor. Man vergleiche diesen Vorwurf mit den Feststellungen im obigen Text.
Warum werden Kirchen und Kommunen mit zweierlei Maß gemessen? Wo bleibt der Aufschrei in den Medien über die milliardenschwere Geldvernichtung in Städten und Gemeinden? Verantwortet durch gewählte Politiker, studierte Juristen und diplomierte Volkswirte?
Ich hätte mir gewünscht, daß nur ein Bruchteil der medialen Aufmerksamkeit, die derzeit dem Limburger Bischof zuteilwird , den andauernden Finanzskandalen vom Kämmerern und Bürgermeistern unserer Kommunen gewidmet worden wäre. Weitgehendes Schweigen auf öffentlichen Kanälen, kaum ein Rascheln im Blätterwald, keine Untersuchung durch Justizbehörden..
Kann es sein, daß wir uns inzwischen an den allzu sorglosen, leichtfertigen Umgang der Politiker mit unseren Steuergeldern gewöhnt haben? Und nur deswegen ausschließlich der katholischen Kirche unsere Empörung gilt?
Zu guter Letzt: Der Bischof soll auch mal einen Interkontinentalflug in der ersten Klasse zurückgelegt haben. Der Spiegel machte daraus eine große Story. Zur Erinnerung: Politiker reisen bei solchen Anlässen in der Regel mit eigens gecharterten Flugzeugen oder gleich mit der Flugbereitschaft der Bundeswehr. Auf unsere Kosten.
Ich hoffe, daß die Zeit kommt, um die Dinge wieder ins rechte Licht zu rücken.
Euer Bernd
Passend zum Thema ein Leserbrief in der FAZ von heute, dem 16.Oktober 2013:
Bei Politikern haben wir uns schon lange von moralischen Wertvorstellungen verabschiedet, aber es gibt scheinbar immer noch genügend naive Menschen, die in der katholischen Kirche eine moralische Instanz sehen und deshalb empört aufschreien, wenn ihr Kirchenbild beschädigt wird. Solange die Kirche in bewährter Weise (alles unter den Tisch kehren) agiert, ist alles in Ordnung, aber wenn jemand was ausplaudert……
Stellt euch mal vor, ein Politiker würde ausschließlich zum Wohle des Volkes agieren, über sein Verhalten wären wir wahrscheinlich genau so geschockt wie jetzt beim Limburger Bischof.
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