Führte die Entspannungspolitik zum Zusammenbruch der UdSSR?

Diese abenteuerliche These vertritt Klaus von Dohnanyi, ehemals Bildungsminister im zweiten Kabinett Willy Brandt.  Unter der Überschrift “ Was sie in die Knie zwingt“  schreibt er am 24. April in der FAZ über die Ukraine-Krise wie folgt:  

Nur einmal gelang es nämlich in den letzten 200 Jahren, die Grenzen Russlands erfolgreich nach Osten zurückzudrängen: durch Entspannungspolitik.

Nein, das ist nicht als verspäteter April-Scherz gemeint. Und so schreibe ich den Leserbrief wie folgt:

In seinem  lesenswerten Beitrag über die Krim-Krise beschreibt Klaus von Dohnanyi durchaus kenntnisreich die Geschichte der deutsch-russischen Beziehungen. Auf den latenten Antiamerikanismus in seinen Ausführungen hat bereits der ehemalige Botschafter Israels, Shimon Stein, in seiner Zuschrift vom 3.Mai  ausführlich geantwortet.

An einer Stelle betreibt der ehemalige Minister einer sozialliberalen Koalition von Dohnanyi Geschichtsklitterung im Sinne seiner damaligen Regierung.   Schreibt er doch wörtlich:  „Nur einmal gelang es nämlich in den letzten 200 Jahren, die Grenzen Russlands erfolgreich nach Osten zurückzudrängen: durch Entspannungspolitik. Es waren nicht Waffen, und die Sowjetunion brach auch nicht wegen des Rüstungswettlaufes zusammen; das kommunistische System Russlands war so wenig lebensfähig wie das System Chinas, das eben auch ohne Rüstungswettlauf zum Staatskapitalismus mutierte. Aber die Entspannungspolitik, energisch vorangetrieben von der Bundesrepublik und von Willy Brandt, zunächst als Außenminister und später als Bundeskanzler, nutzte diese innere Schwäche der Sowjetunion und war am Ende erfolgreicher als alle Drohungen der Vereinigten Staaten.“

 Diese von der SPD gerne verbreitete Legende darf nicht unwidersprochen bleiben.  Es war beileibe  nicht die  von Willy Brandt und Egon Bahr Anfang der siebziger Jahre konzipierte neue Ostpolitik und der damit propagierte „Wandel durch Annäherung“,  der zum Zusammenbruch der kommunistischen Regime jenseits des Eisernen Vorhangs und letztlich zur Auflösung des Ostblocks führte. Erinnern wir uns: Der  Ostpolitik der sozialliberalen Koalition zum Trotz unterstützen die östlichen Geheimdienste die Terroristen der Rote-Armee-Fraktion, lieferten Waffen, Geld und Unterschlupf. Und ebenso hinderte die Ostpolitik nicht die Sowjetunion am Einmarsch in Afghanistan am 26. Dezember 1979. Und auch die gewaltsame Etablierung diktatorisch-kommunistischer Regime in den ehemaligen Kolonien Portugals wie Angola, Mozambique, Guinea Bissau   erfolgte mit Waffengewalt, nämlich durch die von der Sowjetunion hochgerüsteten kubanischen Streitkräfte. Das vom bulgarischen Geheimdienst verübte Attentat auf den missliebigen Papst Johannes Paul II geschah mit Wissen und Billigung der Sowjets.  Dissidenten wie Andrei Sacharow wurden entweder zwangsweise psychiatriert oder wie Mstislaw Rostropowitsch des Landes verwiesen.  Die Werke Solschenizyns durften nicht veröffentlicht werden. Weniger prominente Abweichler im Ostblock hatten noch schlimmere Schicksale zu gegenwärtigen.  Und schließlich zu erwähnen: Die massive Aufrüstung der Sowjetunion mit den SS-20 Atomraketen, die ausschließlich auf Westeuropa gerichtet wurden.

Nein, es war die Entschlossenheit des Westens dieser Bedrohung entgegenzutreten, die zum Paradigmenwechsel in den Köpfen der Kremlherren führte. Das Verdienst gebührt Ronald Reagan, Margaret Thatcher und nicht zuletzt Helmut Schmidt, der den Nato-Doppelbeschluss auch gegen einen zögernden Jimmy Carter auf den Weg brachte. In den achtziger Jahren reifte auch in den Politbüros die Erkenntnis,  daß die Weltrevolution kein mehr Exportschlager war, der praktizierte Kommunismus nicht die geistigen und materiellen Bedürfnisse seiner Untertanen befriedigen konnte und zudem auch das Wettrüsten gegen einen entschlossenen Westen nicht zu gewinnen war. Die Ostpolitik von Brandt und Bahr mag einiges  bewirkt haben, wie etwa die Reiseerleichterungen für DDR-Rentner. An der Auflösung der militärischen  Bedrohung aus dem Osten hatte sie keinen Anteil.

Michail Gorbatschow erwähnt in seinem Buch „Perestroika“  die Ostpolitik von Brandt und Bahr übrigens mit keinem Wort. 

— Ende des Leserbrieftextes —

Der volle Text des Klaus von Dohnanyi findet sich hier:

http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/was-sie-in-die-knie-zwingt-klaus-von-dohnanyi-zur-ukraine-krise-12914417.html

 

 



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