Delegitimation des Rechtsstaates oder AfD-Diffamierung?
Veröffentlicht: 4. Juli 2018 Abgelegt unter: Leserbriefe an die FAZ | Tags: AfD, Ulrich Schellenberg 2 KommentareAm 7. Juni vermeldete die FAZ eine scharfzüngige Schelte vom Ulrich Schellenberg, dem Präsidenten des Deutschen Anwaltsvereins (DAV) gegenüber der AfD. Deren rechtspolitischen Sprecher Stephan Brandner hatte laut Zeitungsbericht bereits im Februar diesen Jahres geäußert: „Was Demokratie und Rechtsstaat angeht, ist Deutschland mehr als rückständig.“ Konkreter Anlass waren die von Altparteien gutgeheißenen, von der Justiz nicht geahndeten Behinderungen einer Frauendemonstration in Berlin.
Der am 1. April 2018 frisch ins Amt berufene Präsident des DAV warf dann anlässlich des deutschen Anwaltstages im Juni der AfD vor, es gehe ihr um die „Delegitimation des Rechtsstaates“ .
Dem ist entschieden zu widersprechen. Denn die Kritik an den gegenwärtigen Zuständen im Justizapparat ist keineswegs ein Alleinstellungsmerkmal der AfD. So verfasste etwa der Vorsitzende des deutschen Richterbundes Jens Gnisa kürzlich sein Buch mit dem vielsagenden Titel „Vom Ende der Gerechtigkeit“. In dieser Publikation geht er mit der deutschen Gerichtsbarkeit scharf ins Gericht. Schon einige Jahre älter ist die Schrift der unvergessenen Jugendrichterin Kirsten Heisig „Von Ende der Geduld“. Nicht unerwähnt bleiben sollte die Scharfzüngige Polemik des BGH-Richters Thomas Fischer „Im Recht“. Alle genannten sind keine AfD-Parteigänger, doch eint sie der kritische Blick auf die gegenwärtige Verhältnisse in der bundesdeutschen Justiz.
Auch mit der vielbeschworenen Unabhängigkeit der Justiz ist es hierzulande nicht gut bestellt. Zwar sind die Richter formal an keinerlei Weisungen gebunden. Das trifft aber nicht auf die Ermittlungsbehörden, namentlich die Staatsanwaltschaften, zu. Diese sind dem jeweiligen Justizminister, somit der Politik, weisungsgebunden. Der kürzlich verstorbene Generalbundesanwalt Haralds Range konnte ein Lied davon singen. Der damalige Justizminister Heiko Maas gab die Weisung, eine politisch nicht genehme Ermittlung wegen des Verdachtes des Verrats von Staatsgeheimnissen einzustellen. Unter Protest nahm der Generalbundesanwalt seinen Hut. Diese Behinderung der Justiz wollte sich der oberste Ankläger nicht gefallen lassen. Dem SPD-Politiker Maas hat diese Affäre nicht geschadet. Er wurde im neuen Kabinett Merkel zum Außenminister befördert. Es bleibt die bittere Erkenntnis: Wo ein Staatsanwalt nicht ermitteln darf, dort gibt es auch keinen Richter, der ein Urteil spricht.
Zu hinterfragen ist auch die gängige Praxis, abgehalfterte Politiker zu Verfassungsrichtern zu berufen. Wenn etwa ein ehemaliger CDU-Ministerpräsident den Vorsitz führt in einen Parteiverbotsverfahren vor dem Verfassungsgericht, dann hat dies einen eigentümlichen Beigeschmack.
Demokratie in Deutschland: Als nur ein Beispiel von vielen könnte der bekannte Staatsrechtler Hans Herbert von Arnim als Kronzeuge für die von der AfD so benannte „Demokratierückständigkeit“ dienen. Seine Publikation „Demokratie ohne Volk: Plädoyer gegen Staatsversagen, Machtmißbrauch und Politikverdrossenheit“ stammt aus dem Jahr 1993. Es sollte noch weitere zwanzig Jahre dauern, bis sich die „Alternative für Deutschland“ firmierte.
Tatsächlich liegt der Verdacht nahe, daß es dem frisch gekürten Präsidenten der deutschen Anwälte mit seiner Schelte nicht um konstruktive Kritik, sondern um etwas ganz anderes geht: Nämlich die Sicherung der Pfründe seiner Standesgenossen. Bekanntlich hat die AfD sich ins Wahlprogramm geschrieben, das Unwesen der „Abmahnanwälte“ einzudämmen. Es ist auch kein Geheimnis, daß sich die AfD die Eindämmung des Phänomens, das auch von Unionspolitikern als „Asylindustrie“ bezeichnet wird, aufs Panier geschrieben hat. Auch das sichert bis dato einer beträchtlichen Anzahl von Anwälten ein hübsches Einkommen. Es ist verständlich, daß sich die AfD mit ihren Forderungen bei manchen Vertretern dieser Zunft keine Freunde macht.
Daneben dürfte es noch einen weiteren Beweggrund der Schellenbergschen Maulschelle für die AfD geben: Es ist das natürliche Bedürfnis jedes Lobby-Verbandes, sich mit der jeweiligen Regierung gutzustellen. Invektiven gegen die AfD sind allenthalben wohlfeil und bringen Sympathiepunkte bei den gegenwärtigen Amtsinhabern. So gesehen, macht Herr Schellenberg nichts weiter als Lobbyistenarbeit. Aber ob ihn das dazu legitimiert, sich auf Kosten der größten Oppositionspartei im Deutschen Bundestag zu profilieren?
Mit freundlichen Grüßen
Bernd Ulrich
Dieser Text wurde als Leserbrief an die FAZ gesendet. Bisher erfolgte keine Veröffentlichung.