Reisen in die Türkei?

Sehr geehrte Frau Haupt, (FAZ)
Sehr geehrter Herr Weigel, (RP)

Reisen in die Türkei? Sie stehen mit Ihrer Meinung nicht allein: Bloß nicht in das Land des Despoten Erdogan! Strafen wir ihn ab mit einem Tourismus-Boykott! Das ist laut  Gabriel  nunmehr sogar regierungsamtliche Politik.

Halt! Treffen wir da nicht die falschen? Es sind gerade die Tourismusregionen an der Küste, deren Bewohner mehrheitlich gegen Erdogan gestimmt haben. Nicht nur die, auch Ankara und Istanbul haben das Erdogan-Referendum abgelehnt. In Istanbul ist das Ergebnis  umso erstaunlicher, zumal Erdogan einstmals Bürgermeister dieser Stadt war.- Und nun leiden gerade die Menschen, die im Sinne eines aufgeklärten Demokratieverständnisses abgestimmt haben, besonders unter unseren Sanktionen. Wollen wir das wirklich? Handeln wir damit möglicherweise sogar im Sinne Erdogans?

Quelle: RP In den roten Provinzen haben die Bewohner GEGEN Erdogan gestimmt

Türkei ist nicht gleich Türkei und Türke ist nicht gleich Türke. Diese simple Erkenntnis gilt für alle Länder, aber besonders für unseren nächsten Nachbarn jenseits des Bosporus. Im Jahre 2000 hatte ich die Türkei bereist und war erstaunt:  Die Kinder adrett gekleidet in ihren Schuluniformen; wie selbstverständlich haben sie ihren Sitzplatz im Bus den Älteren und Gebrechlichen angeboten. In Izmir, mit damals über 2 Mio. Einwohnern drittgrößte Stadt  des Landes, sah man kein einziges Kopftuch in den Straßen. Statt dessen trugen die Frauen ihre langen schwarzen Haare offen und selbstbewusst wie südländische Schönheiten. –  Schon damals habe ich mich gefragt warum das bei uns so anders ist.  Denn seinerzeit  war im Duisburger Stadtbild das Kopftuch bereits ein vertrauter Anblick und von  pubertierenden Türkenjungs hielt man besser weiträumig Abstand.

Vor einem guten Jahr war ich wieder in der Türkei.  Zusammen mit meiner Tochter hatte ich einen einwöchigen Strandurlaub in der Nähe von Side gebucht. Meine Beobachtung: Inzwischen sieht man das Kopftuch auch bei jungen Frauen, aber immer noch in deutlicher Minderzahl. Am 19.Mai, einen Gedenktag zu Ehren Atatürks, des Begründers der modernen Türkei, sah man allenthalben sein Porträt auf der Straße, in Geschäften, Hotels und an Gebäuden . Eine Konterfei von Erdogan suchte man hingegen vergebens. Auch eine Art des Protestes?  Apropos Sprache: Viele der Ladeninhaber sprechen sehr gut Deutsch. Auf Nachfrage hört man häufig, daß sie gar nicht  in Deutschland gewesen sind. „Wir haben von den Touristen gelernt und ein paar Wochen Sprachkurs gehabt“. Da kommt man ins Grübeln. Denn viele Türken, die seit Jahren bei uns sind, sprechen ein schlechteres Deutsch als ein T-Shirt-Verkäufer in einer Strandbude an der Küstenstraße bei Side.

In unserem Strandhotel herrschte ein freundliches, geradezu herzliches Einvernehmen zwischen dem Personal und den Touristen; zumeist  waren es deutsche Stammgäste, die bereits zum x-ten Mal wiederkamen. Eines Abends, mitten in der Woche, standen deutlich weniger Urlauber am abendlichen Büffet. Die Erklärung: Eine Großteil der Gäste war eingeladen worden zur privaten Hochzeitsfeier eines Kellners.

Und das alles wollen wir uns durch Erdogan kaputt machen lassen?
Eines sollten wir uns fragen: Wie kommt es, daß Erdogan gerade bei  den Türken in unserem Land so viele Anhänger hat? Deutlich mehr als in der  heimatlichen Türkei? Richtig gelesen: Ich spreche von „unserem Land“ , auch wenn dieser Begriff inzwischen verpönt ist.  Dabei hat Erdogan schon vor den Referendum deutlich gemacht, daß er die Todesstrafe wieder einführen will. Das mußten seine Anhänger hierzulande wissen.

Wir hätten damals  genauer hinsehen sollen, wen wir da in unser Land holen. Und es sieht nicht so aus, als wenn unsere Politiker  aus Fehlern lernen würden. Die elf türkischstämmigen Bundestagsabgeordneten sind eben nicht repräsentativ für die Mehrzahl der türkischen Immigranten.

Und noch ein Verdacht: Vom Türkei-Boykott profitieren nun die chronisch finanzschwachen Euro-Südländer wie Spanien, Italien und Griechenland. Denn irgendwo wollen die sonnenhungrigen Urlauber ihren Strandurlaub verbringen. Ist das vielleicht  ein erwünschter Nebeneffekt der regierungsamtlichen Reisewarnung? Türkei-Boykott zur Rettung des  Euros?

 Mit freundlichen Grüßen

   Bernd Ulrich

Hier mein Reisebericht aus der Türkei von 2016 (vor dem Putsch) zum gleichen Thema:

Soll man oder soll man nicht? Urlaub in der Türkei? Im Lande des Recep Tayyip Erdoğan?

 Das sollte jeder für sich beurteilen. Der nachfolgende Reisebericht mag einen Anhaltspunkt geben für eine Entscheidung. Eine knappe Woche, vom 17. bis zum 23. Mai 2016, hatte ich mit meiner Tochter Badeurlaub an der türkischen Riviera gebucht.

Ich war gespannt: Letztmalig war ich vor sechzehn Jahren, im Jahr 2000, in der Türkei gewesen. Damals hatten wir einen Tagesausflug zur Zwei-Millionenstadt Izmir, dem antiken Smyrna, unternommen. Was mich seinerzeit beeindruckte: Kein einziges Kopftuch! Alle Frauen trugen das Haar offen wie südländische Schönheiten. Ob sich da etwas geändert hat? Aber eins nach dem anderen.

 Urlaub in der Türkei: Ich kann mir nicht vorstellen, daß es derzeit irgendwo ein günstigeres Preis-Leistungsverhältnis für einen Badeurlaub gibt als dort unten. 550€ für eine Woche Urlaub all-inclusive in einem 5-Sterne-Hotel in bester Strandlage, einschließlich Flug und Transfer.

Unser Strandhotel http://hotelterrace.com/de/beachresort/

in der Nähe von Side war allererste Sahne. Beste, kinderfreundliche Lage direkt am flach abfallenden Sandstrand; ein Buffet, das keinerlei Wünsche offen ließ, egal ob zum Frühstück, zur Mittagszeit ober zum Dinner. Eine riesige Auswahl, ansprechend angerichtet und immer schmackhaft. Auch meine Tochter  kam als Vegetarierin voll auf ihre Kosten. Denn stets gab es frischen Fisch, Salate, Pasta, Aufläufe usw. Die Kellner waren alle freundlich, hilfsbereit und stets zur Stelle. Bei den  abendlichen Shows sahen wir Darbietungen von Artisten, die mit ihrem Repertoire ebenso gut in einem Zirkus oder einem Cabaret hätten auftreten können. Kein Wunder, daß die Mehrzahl der Gäste „Wiederholungstäter“, nämlich langjährige Stammgäste sind. Oftmals begrüßten sich Personal und Gäste wie alte Bekannte. Eines Abends erklärte uns ein Sitznachbar beim Abendessen: „Heute sind weniger da als sonst. Viele Hotelgäste sind nämlich eingeladen zur Hochzeitsfeier eines Kellners.“

Auch die Lage des Hotels ging völlig in Ordnung. Etwa hundert Meter entfernt waren schon die Einkaufsstraße und die Haltestelle für den Dolmuş, jene Art vom türkischen Kleinbus, der einen entweder nach Side oder in Richtung Alanya abtransportierte. Man braucht nicht lange zu warten; spätestens nach fünf Minuten ist einer da. Der Fahrpreis in die nächste Stadt: Gerade mal ein Euro fünfzig. Nebenbei: Der Euro wird überall akzeptiert. Die meisten Preise sind sogar in Euro ausgezeichnet. Apropos Side: Gerade mal ein Spaziergang von einer Dreiviertelstunde entlang der Strandpromenade. Besonders schön in den Abendstunden, wenn die Altertümer des historischen Side beleuchtet sind und die Promenaden und Gassen voll von quirligem Leben sind. In allen Geschäften und Restaurants herrscht eine herzliche Freundlichkeit gegenüber uns Touristen vor.  Natürlich versucht man, uns in den Ladenzeilen allen möglichen Plimpel anzudrehen. Aber das Ganze ist nie wirklich aufdringlich. Ein Nein heißt Nein und wird auch so akzeptiert.

Sicherheit: Zu keinem Zeitpunkt fühlten wir uns irgendwie unsicher oder gar bedroht. Keine Bettelei, keine aufdringlichen Strandverkäufer. Kommt das Gespräch auf die Politik, dann verdrehen unsere türkischen Gesprächspartner die Augen nach oben und sagen nichts mehr. Was sollen sie auch sagen? Sie sind die Leidtragenden der ganzen Situation. Aus Russland kommen überhaupt keine Urlauber mehr und aus Deutschland deutlich weniger. Einige Hotels haben ihren Wiedereröffnungstermin verschoben; andere sind nicht vollständig ausgebucht.  Umso mehr bemüht man sich um die verbliebenen Urlauber. Apropos Sprache: Viele der Ladeninhaber sprechen sehr gut Deutsch. Auf Nachfrage hört man häufig, daß sie in Deutschland gewesen sind. „Wir haben von den Touristen gelernt und ein paar Wochen Sprachkurs“. Da kommt man ins grübeln. Denn viele Türken, die seit Jahren bei uns sind, sprechen ein schlechteres Deutsch als ein T-Shirt-Verkäufer  in einer Strandbude an der Küstenstraße bei Side.

Politik: Als wir ankamen, hingen an allen Geschäften und öffentlichen Gebäuden Fahnen mit den türkischen Staatswappen und dem Porträt des Staatsgründers Mustafa Kemal Atatürk. Des Rätsels Lösung: Der 19. Mai, unser dritter Urlaubstag, ist in der Türkei ein Gedenktag. Offiziell: Der Feiertag der Jugend, des Sports und an das Gedenken an Atatürk. Nun ist allseits bekannt, daß Atatürk vor über achtzig Jahren den Islam aus dem öffentlichen Leben der Türkei verbannt hatte. Der Fez wurde ebenso geächtet wie das Kopftuch, dessen Tragen an Schulen, Universitäten und Behörden strikt verboten wurde. Erst der jetzige Staatspräsident Erdogan machte diese Verhüllung der Frauen wieder salonfähig; seine eigene Frau läuft bei offiziellen Anlässen stets damit herum. – Sollte die  betonte Zurschaustellung des Gründers der modernen Türkei auch ein Protest gegen Erdogan sein?  In der nächstgrößeren Stadt Manavgat steht ein Monumentaldenkmal von Atatürk. Die Frau an seiner Seite trägt kein Kopftuch.  Bis heute. Übrigens: Die Mehrzahl der türkischen Frauen, die mir jetzt dort unten begegneten, trägt immer noch kein Kopftuch. Trotz Erdogan.

Und noch etwas brachte mich zum Nachdenken: Beim abendlichen Spaziergang an der Strandpromenade nach Side erblickte ich eine überlebensgroße Statue. Das Gesicht kennst Du doch? Richtig, eine Hinweistafel klärt auf: Ein Denkmal für den verstorbenen ehemaligen populären Staatspräsidenten Turgut Özal. Dargestellt im kurzen Hemd und kurzer Hose, beleibt und mit Doppelkinn. An diesem Denkmal ist nichts staatsmännisches oder gar ehrwürdiges.  Wäre da nicht der typisch türkische Schnauzbart, so könnte das auch die Darstellung eines x-beliebigen all-inclusive Badeurlaubers sein. Was hat wohl die Bürger von Side veranlasst, eine derartige Figur dort aufzustellen? Hat sich Turgut Özal um Side als Urlauberparadies verdient gemacht? Etwa selber dort von den Staatsgeschäften erholt? Ich weiß es nicht und ich habe auch nichts darüber gefunden.

Urlaub in der Türkei? Lasst die Türken dort unten  nicht allein mit diesem Erdogan.



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