Rummel um Sarrazins neues Werk? Europa braucht den Euro nicht.
Veröffentlicht: 3. Juli 2012 Abgelegt unter: Sarrazindebatte | Tags: Europa braucht den Euro nicht, Hans Matthöfer, Hans-Werner Sinn, Helmut Schmidt, Herbert Ehrenberg, Jens Weidmann, John Maynard Keynes, Karl Schiller, Otmar Issing, Rezension Sarrazin, Sarrazin, Thilo Sarrazin 2 KommentareDer neue Sarrazin wurde von vielen wohlmeinenden Journalisten mit negativen Vorschußlorbeeren bedacht.
So etwa von Adam Soboczynski in der Zeit-Ausgabe vom 22.3.2012: Erwachet!
Nach dem Erscheinen hält sich indessen der Rummel um das neues Buch sehr in Grenzen. Das mag zum einen daran liegen, daß dem Autor die täglichen Wirtschaftsnachrichten in diesen Zeiten nur zu gut Recht geben. Zum anderen auch daran, daß es honorige Fürsprecher gibt, die mit ihm auf einer Linie liegen, wie etwa Hans-Werner Sinn, Hans-Olaf Henkel, Jens Weidmann, Otmar Issing etc. Hinzu kommt, daß Sarrazin sich hier über ein Thema ausgelassen hat, in dem er als ehemaliger Finanzstaatssekretär bzw. Finanzsenator und Bundesbankvorstand selbst über nachgewiesene Kompetenz verfügt. Journalisten denken wie ihr Publikum in Bildern und Gefühlen, die Welt der Zahlen ist ihnen meist fremd. Und während jeder seine eigene Meinung dazu hat, ob Intelligenz eine erbliche Komponente beinhaltet und welche soziokulturellen Implikationen dies nach sich zieht, sieht es bei einer Frage, welchen Sinn oder Unsinn es wohl macht wenn man der EZB eine Banklizenz gibt, schon anders aus. Eine Sonderrolle in diesem Konzert nimmt etwa Antje Höhning von der Rheinische Post ein. Aber diese Herrschaften (oder besser Damenschaften?) wissen ja eh alles besser und verkünden ihre Weisheiten in den Gazetten auf die ihnen eigene schnoddrige Art.
Interessant übrigens, daß unsere Kanzlerin sich im Gegensatz zu früher bei dieser Publikation mit Kommentaren bedeckt hält. Verständlich, denn alles was sie sagt könnte gegen sie verwendet werden.
Ich gebe zu: Für jemanden, der in den letzten Jahren den Wirtschaftsteil der Tageszeitungen aufmerksam studiert hat, steht an reinen Fakten nichts wirklich umwerfend Neues drin. Trotzdem ist das Buch lesenswert: Wie in seiner ersten Schrift ist es ja die Kombination verschiedener Einzelaspekte, die ein schlüssiges Gesamtbild ergeben und somit Einsichten, die in dieser Form so vorher nicht bewusst waren.
Wie schon Sarrazins Publikation vor zwei Jahren wirkt auch sein neues Werk besonders dort lebendig, wo die persönlichen Erlebnisse des Autors mit einfließen: So etwa wenn er berichtet von seiner Zeit der Zusammenarbeit mit Manfred Lahnstein, Herbert Ehrenberg oder Hans Matthöfer. Oder von seinen Erfahrungen als Finanzsenator, Staatssekretär oder Bundesbankvorstand. Die Anekdote um seine Mitwirkung bei der Erfindung des Mutterschaftsurlaubes ist für mich das amüsanteste Kapitel im dem Werk, das ansonsten bei seiner Lektüre eher eine depressive Stimmung hinterlässt.
Was war neu für mich: Da zum einen seine These, daß wir vor zwei Jahren die griechischen Banken hätten retten sollen an Stelle der Staatsfinanzen dieses Landes. Ebenso überraschend die Statistiken, daß nach Einführung des Euro das relative Gewicht des Handels mit den Partnern der Eurozone abgenommen hat. Allerdings liefert der Autor auch gleich eine Erklärung: Die zunehme Relevanz der asiatischen Märkte. Besonders interessant der Vergleich der föderalen Finanzstrukturen von USA und Schweiz mit denen der Bundesrepublik und der EU. Das findet man sonst selten in anderen Publikationen. Auch der Ländervergleich über die verschiedenen Mitglieder der Eurozone ist lesenswert.
Das Buch liest sich über weite Teile hinweg wie ein populäres Lehr- und Geschichtsbuch der Finanzwissenschaft. Wem Begrifflichkeiten wie etwa die österreichische Schule, Monetarismus oder John Maynard Keynes schon vorher geläufig waren, der kann über die entsprechenden Kapitel etwas schneller hinweg lesen. Den übrigen bietet es eine gut verständliche Einführung.
Sarrazin holt weit aus in der Historie von Wirtschaftsgeschichte und Staatsfinanzen: Über Antike, Neuzeit und natürlich besonderes Gewicht auf das System Bretton-Woods und dessen Zerfall. Nach meinem Dafürhalten hätte er es mit der Rezession in der Bundesrepublik Anfang der Siebziger etwas genauer nehmen können: Da schont er nämlich die alten Genossen seiner Partei. Ölkrise und Währungsturbulenzen waren nur ein Teil der Ursachen: Wesentlich für den Abschwung war der Überschwang der Genossen im Aufwind durch Willy Brandt. Das Wort des SPD-Landesfürsten Jochen Steffen auf dem SPD-Steuerparteitag 1971, daß es nun an der Zeit sei, die Belastbarkeit der deutschen Wirtschaft zu erproben, ist mir noch sehr geläufig. In jener Zeit haben auch die SPD-Finanzpolitiker Alex Möller und Karl Schiller das Handtuch geworfen. Die hätten es durchaus verdient, in dem Buch erwähnt zu werden. Auch das berühmte Zitat von Helmut Schmidt aus seiner Zeit als Wirtschaftsminister: 5% Arbeitslosigkeit sind mir lieber als 5% Inflation wird nicht erwähnt. Mögliche Erklärung: Helmut Schmidt gehörte ja nicht zu der Riege der SPD-Granden, die vor zwei Jahren lauthals den Parteirauswurf gefordert hatten. Vielleicht deswegen die Schonung? Jedenfalls hatte sich zum September 1973 die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland innerhalb kurzer Zeit schon verdreifacht. Erst im Oktober brach dann der Nahostkrieg (Jom Kippur) aus, der zur ersten Ölkrise führte. Gut die Darstellung und Bedeutung des ÖTV-Streiks von 1974, mit dem Willy Brandt in die Knie gezwungen wurde. Da hätte man auch den Namen von Heinz Klunker erwähnen müssen, der Personifizierung des schwergewichtigen Gewerkschaftsbonzen schlechthin.
Ansonsten gibt es an den historischen Darstellungen kaum etwas zu ergänzen. Lediglich die Bankenkrise in Japan Anfang der Neunziger, ausgelöst durch das Platzen der Spekulationsblasen, hätte noch etwas intensiver beleuchtet werden können. Denn der Ablauf dort war beinahe symmetrisch zu dem, was sich zehn Jahre später in den USA abspielte. Denn hier wie dort mussten die Staatsfinanzen zur Rettung einspringen; ein Kraftakt, von dem sie sich hüben wie drüben bis heute nicht erholt haben.
Das auf den ersten Blick paradoxe Phänomen, daß der Euro bei den teilnehmenden Ländern wie eine Fremdwährung zu betrachten ist und damit implizit die Gefahr des Staatsbankrottes in sich birgt, wird gut und verständlich erklärt.
Der Titel:“Europa braucht den Euro nicht“ ist natürlich eine Provokation an die Adresse er Kanzlerin. Hatte die doch erklärt:“Scheitert der Euro, dann scheitert Europa“. Diese Aussage wird Sarrazin kritisch hinterfragt und bewertet. Dabei war und ist Sarrazin kein Euro-Gegner. Ende der Neunziger hat er selbst ein Buch zum Euro verfasst. Und seine Argumentation, daß man sich nur an die Spielregeln (Maastricht) hätte halten müssen, ist schlüssig und wird ja von vielen geteilt.
Gut gemeint ist häufig genau das Gegenteil von gut gemacht. Das steht zwar nicht bei Sarrazin, hätte aber gut gepasst. Damit spannt sich der Bogen zwischen seinen beiden Büchern: Die politischen Motive, wie etwa in Bezug auf Migranten-, Bildungs- und Sozialpolitik oder Europäische Integration waren gut und ehrenwert. Die Durchführung hingegen…nun ja. Davon handeln seine Bücher. Und zum Schluss die trübsinnige Erkenntnis, daß wir uns mit allen den Hunderten von Milliarden, die wir zu unseren europäischen Nachbarn, insbesondere den Griechen, pumpen, keine Freundschaft erkauft haben. Im Gegenteil. Dabei hätte man durchaus frühzeitig gegensteuern können. Sarrazin gibt sich keinen Illusionen hin, wie die deutsche Politik weiter agieren wird: „…sie wird sich jedes Mal erst ein wenig zieren und dann erneut nachgeben… So erhält man sich im Inneren die fernsehwirksame Härte … und es geht doch immer weiter in die falsche Richtung“ (auf Seite 370).
Redaktionsschluss des Buches war im Frühjahr. Der griechische Schuldenschnitt als auch der sozialistische Wahlsieg in Frankreich sind noch nicht eingearbeitet, sind aber für die Botschaft des Buches ohne Belang. Auch Sarrazin erwartete übrigens den Sieg der Linken in Frankreich.
Ich kann das Buch nur jedem empfehlen, der sich über die Eurokrise eine qualifizierte Meinung bilden möchte.