Der Krampf um „Mein Kampf“

Grotesk, daß ausgerechnet der Freistaat Bayern das Urheberrecht an Hitlers  „Mein Kampf“ für sich reklamiert.  Dabei war Adolf Hitler als verurteilter Putschist  zum Zeitpunkt der Niederschrift seines Werkes vor fast neunzig Jahren weder Bayer noch Deutscher, sondern immer noch Österreicher.  Erst Jahre später erfolgte die Einbürgerung des „Führers“.  Die geschah dann allerdings weder in München noch in Landsberg, sondern im norddeutschen Braunschweig.

In aktuellen bayerischen Diskussionen wie etwa bei  Maut und Modellautos geht es meist  um schnöden Mammon.  Nicht so im Fall der Urheberrechte an „Mein Kampf“. Da sorgen sich die  Politbürokraten diesseits des Weißwurstäquators vielmehr um die geistige Volksgesundheit, falls Hitlers historische Kampfschrift wieder für jedermann frei zugänglich werden sollte.  Zwar wird bei jeder Gelegenheit die Floskel vom  „Mündigen Bürger“ beschworen. Indessen traut man dem Wahlvolk  nicht über den Weg. Der eine oder andere vielleicht doch nicht so mündige Bürger könnte auf dumme Gedanken kommen.  Und so soll  dieses Werk auch  weiterhin unter Verschluss gehalten werden. An einer juristischen Begründung für ein dauerhaftes Verbot wird noch gebastelt. Denn am 31.12.2015 erlöscht das Urheberrecht der Bayern.

Bei Licht betrachtet,  ist dieses Vorhaben absurd. Da nimmt die Beschäftigung mit der NS-Zeit einen breiten Raum ein auf dem Papier der Lehrpläne deutscher  Gymnasien und Gesamtschulen. Und immer wieder heißt es, daß man aus der Geschichte lernen sollte. Und gerade das Hauptwerk des Nationalsozialismus soll weiterhin tabu bleiben?  Das ist etwa so, als wolle man Marxismus studieren  ohne die Schriften von Karl Marx zur Hand nehmen zu dürfen. Mit diesem Dilemma musste der deutsche Geschichtsunterricht schon seit 1945 mehr schlecht als recht auskommen.

Handelt es sich bei Hitlers „Mein Kampf“ um eine jugendgefährdende Schrift? Wohl kaum. Zum einen interessieren sich geschätzte  90% der heutigen Jugend in keiner Weise für geschichtliche Themen. Und für den Rest wäre die Lektüre der über siebenhundert Buchseiten  einfach zu anstrengend. Nicht nur wegen des pathetischen Stils, der uns heute seltsam fremdartig erscheint. Auch der historische Kontext der zwanziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts  dürfte den meisten nicht geläufig sein.  Zudem: Im Zeitalter vom SMS und Twitter schaltet bei den heutigen Jugendlichen nach 160 Zeichen der Denkapparat  auf den Stand-by-Modus und ist damit nicht mehr aufnahmefähig. „Mein Kampf“ indessen besteht aus 230.590 Wörtern. Zuviel!

Der Heidelberger Literaturprofessor Helmuth Kiesel ist jemand, der sich erst kürzlich die Mühe gemacht,  Hitlers Werk von vorne bis hinten zu studieren. In der FAZ hat er in einem →lesenswerten Artikel über diesen Selbstversuch ausführlich  berichtet. Sein Ansatzpunkt  war  nicht der Inhalt des Buches an sich, sondern der Schreibstil des Autors. Kurzum: Hitler aus der Sicht des Literaturkritikers. Auch Prof. Kiesel zitiert die weit verbreitete These, daß trotz der damaligen Millionenauflagen kaum jemand dieses  Buch gelesen hätte.

Der nachmalige Nobelpreisträger für Literatur des Jahres 1953, Winston Churchill, hatte schon frühzeitig „Mein Kampf“ gelesen. Denn bereits 1933 gab es die →erste Übersetzung in die englische Sprache. Churchill nahm keinen Anstoß an der literarischen Qualität, sondern setzte sich  kritisch mit Hitlers Thesen und seinem Weltbild auseinander. Churchills  Zukunftsprognose  war durchaus ambivalent: “History is replete with examples of men who have risen to power by employing stern, grim, wicked, and even fright­ful methods, but who, nevertheless, when their life is revealed as a whole, have been regarded as great figures whose lives have enriched the story of man­kind. So may it be with Hitler.. We cannot tell whether Hitler will be the man who will once again let loose upon the world another war in which civilization will irretrievably succumb, or whether he will go down in history as the man who restored honour and peace of mind to the great Germanic nation.”  Zu Deutsch: Hitler könnte auch eingehen in die Geschichte als derjenige, der die Ehre und Friedfertigkeit der deutschen Nation wiederherstellt.  →Quelle

Wir sind es gewohnt, Geschichte ex post zu betrachten. So, als ob sich die Geschehnisse  zwangsläufig ergeben hätten. Ein leichtes Spiel, denn hinterher ist man immer klüger.  Um die damalige Zeit zu verstehen, muß man sich die Blickweise der einstigen  Zeitgenossen zu eigen machen. Das fällt uns schwer. Denn heute sind wir  ja „Besserwisser“.

Zurück zum Urheberrecht: Ich selber halte es mit Ludwig Thoma: Hoffen wir auf Engel →Aloisius, damit die bayerische Staatsregierung doch noch die richtigen Eingebungen erhält.

Euer Bernd

PS: Anmerkung für G8/G9-Abiturienten, die mit dem Namen Winston Churchill nichts anzufangen wissen: Er war nicht nur Nobelpreisträger für Literatur, sondern wurde  1955 auch mit dem Karlspreis der Stadt Aachen ausgezeichnet.

Englische Übersetzung von "Mein Kampf" 1933

Englische Übersetzung von „Mein Kampf“ 1933