Politikerverachtung

Schluss mit der Politiker-Verachtung! Diese skurrile Forderung stellte der Kolumnist der Rheinischen Post, Reinhold Michels in den Raum. Die Begründung ist eher dürftig, der ganze Text scheint von hilflosem Mitleid geprägt. Hier der ganze Artikel: http://www.rp-online.de/politik/deutschland/kolumnen/mit-verlaub/schluss-mit-pauschaler-politiker-verachtung-aid-1.5194006

Das schreit geradezu nach Widerspruch. Und so schreibe ich den folgenden Leserbrief, der nur auszugsweise abgedruckt wurde. Die fortgelassenen Stellen sind kursiv rot  gekennzeichnet:

Warum wir unsere Politiker verachten?

 Ganz einfach: Weil sie es verdient haben! Schauen wir uns den Murks doch einmal an: Maut, Mindestlohn, Mietpreisbremse, Maklerverordnung, Frühverrentung. Alles reiner Populismus und gegen den Rat ausgewiesener Experten auf den Weg gebracht!  Die Reihe läßt sich beliebig fortsetzen: Die verkorkste Energiewende, die fehlgeschlagene Eurorettung für die Griechen und so weiter. Das kostet und -zig Milliarden.  Jeder kann sich mal irren und Fehler machen. Aber hier wurde gegen besseres Wissen gehandelt! Die Spatzen pfiffen schon vor fünf Jahren von den Dächern, daß die Griechen niemals ihre Schulden zurückzahlen können. Hier wurde gegen Sinn und Verstand angeblich „alternativlos“ gehandelt:  Allen voran: Frau Dr. Angela Merkel. Die Frau ist bewundernswert; ein Phänomen. In ihrem Kopf allein ist mehr Intelligenz versammelt als am gesamten Kabinettstisch. Warum handelt sie trotzdem bewußt gegen die  Interessen dieses Landes?  Einfache Antwort: Das Kalkül des Machterhaltes.

 Aber wir brauchen gar nicht auf die hohe Politik zu schauen. Kommunalpolitiker haben Milliarden versemmelt bei Zinsspekulationen und Leasinggeschäften mit US-Firmen. Keiner, absolut niemand  wurde dafür zur Verantwortung gezogen. Angeblich hätten die verantwortlichen Herrschaften (oder Seilschaften?)  diese Geschäfte nicht verstanden. Es ist für Otto Normalo eine Binsenweisheit, die Finger zu lassen von Geschäften die er nicht versteht. Für die Beachtung dieser einfachsten Regel braucht mein kein Studium der Betriebswirtschaft oder Juristerei!

 Gierige Bänker? Dieses Klischee wurde von unseren Politikern gerne unters Volk gebracht. Immer mit dem Finger auf andere zeigen. Aber wer hat denn die meisten Milliarden versenkt? Das waren die von der Politik kontrollierten Landesbanken und öffentlichen Institute! Helaba, WetLB, NordLB, Bayerische Landesbank, KfW, usw.,  usw. Die Aufzählung ist bei weiten nicht vollständig.

 Laut Grundgesetz sollten unsere Abgeordneten nur ihrem Gewissen verantwortlich sein. Schön wär‘s. Wir sagte der damalige Kanzleramtsminister Pofalla zu seinem Parteifreund Bosbach: „Hör mir auf mit dieser Sch…!“   Besser konnte er es nicht auf den Punkt bringen.

 Aber seien wir ehrlich: Jedes Volk hat die Regierung, die es verdient. Wir haben sie gewählt. Also dürfen wir uns nicht beklagen.

Eigentlich wollte ich keine Werbung für Angela Merkel machen ... und dann noch in dieser Pose

Eigentlich wollte ich keine Werbung für Angela Merkel machen … und dann noch in dieser Pose

Soweit der Text meines Leserbriefes. Reinhold Michels war entsetzt über das vielstimmige Echo auf seine Kolumne. Und so schrieb er einige Tage später:

„Wenn ich diverse Zuschriften zu meiner Kolumne vom vergangenen Freitag („Schluss mit pauschaler Politiker-Verachtung“) richtig interpretiere, kann das Ansehen von Ministern und Parlamentariern gar nicht mehr viel tiefer sinken. Aus nicht wenigen Zeilen (Ausnahmen bestätigten die Regel) quollen wahre Wonnen der Empörung über Politik und Politiker. Man fragt sich: Haben diese Zornbebenden alle Maßstäbe verloren?“

Lobgesang von Reinhold Michels

Lobgesang von Reinhold Michels

Und er fährt fort: „Zur Bundestagswahl 1972, an der 90 Prozent (!) der Wahlberechtigten teilnahmen, hatte die SPD einen treffsicheren Slogan gewählt und dazu ihren Helden, den Kanzler Willy Brandt, gezeigt: „Deutsche, wir können stolz sein auf unser Land!“  http://www.rp-online.de/politik/deutschland/kolumnen/mit-verlaub/ein-hoch-auf-deutschlands-demokratie-aid-1.5210729

Dieses Stichwort greife ich gerne auf. Der nachfolgende Leserbrief wurde leider nicht mehr zur Veröffentlichung angenommen:

 Sehr geehrter Herr Michels,

 Oha, das hat gesessen! Von der vielstimmigen Reaktion auf Ihre Kolumne zur Politikerverachtung waren Sie offenbar selber überrascht: „Wahre Wonnen der Empörung“.  Und nun entgegnen Sie uns Miesepetern mit dem Willy-Brandt-Spruch des Jahres 1972: „Wir können stolz sein auf unser Land“.

 Abgesehen davon, daß ich die sozialdemokratischen Nuancen des Bundestagswahlkampfs von 1972 etwas anders in Erinnerung habe („Willy wählen!“ oder „Reiner Korn ist mir lieber als Rainer Barzel“) greife ich den Vergleich gerne auf. Sie, Herr Michels, sind ja der gleiche Jahrgang wie ich (1950) und dürften das damalige Jahr noch in guter Erinnerung haben. Der Wiederaufbau des zerbombten Landes war abgeschlossen, Millionen von Flüchtlingen und Kriegsheimkehrern waren gut integriert. Es herrschte Vollbeschäftigung; die Arbeitslosigkeit war deutlich unter einer Million, eine Zahl die später nie wieder unterschritten wurde. Ausländische Arbeitskräfte strömten in großer Zahl ins Land.  Busse und Bahnen fuhren pünktlich; die Post wurde regelmäßig und zuverlässig  jeden Morgen ausgetragen. Schulen und Universitäten wurden in großer Zahl neu gebaut und das Abitur galt noch zu Recht als Ausweis der Studierfähigkeit. Ein Polizist war eine Respektsperson. Bahnhöfe und öffentliche Plätze waren sauber; auf jeder Bahnstation gab es einen Vorsteher. Für eigengenutztes Wohneigentum brauchte von der jungen Familie keine Grunderwerbsteuer berappt zu werden.  Die Mehrwertsteuer lag bei 11%. Rundfunk- und Fernsehgebühr zahlte nur der, der auch ein Empfangsgerät sein eigen nennen konnte.

 Ja, man konnte im Jahre 1972 noch stolz sein: Das  Wirtschaftswunder, die starke D-Mark, den hohen Bildungstand seiner Bevölkerung.  

 Unbekannt waren sowohl als Phänomen als auch als Vokabel: Graffiti, No-Go-Area, Parallelgesellschaft, Langzeitarbeitslose, importierte Kriminalität, Wutbürger. Niemand dachte im Traum an das Verhökern von öffentlicher Infrastruktur an ausländische Heuschrecken oder Währungsspekulationen mit Steuergeldern durch städtische Kämmerer.

 Es war ein SPD-Kanzlerkandidat, der in späteren Jahren  typisch deutsche Eigenschaften von damals wie Sparsamkeit, Fleiß, Sauberkeit, Ordnungsliebe abqualifizierte als „Sekundärtugenden“, mit denen man auch „ein KZ betreiben könne“.  Der weitere Fortgang ist bekannt.

 Und heute? Ich brauche das ganze wohl nicht weiter auszuführen, die obigen Beispiele genügen. Ein Tipp:  Schauen Sie sich doch heute mal eine Schule an. Vergleichen sie nur die Räumlichkeiten, die Turnhalle, die Pausenräume, die Fassade und vergleichen sie mit damals.  Trotz höchster Belastungen der Bürger mit Steuern und Abgaben verrottet die Infrastruktur.  Richtig ist: Es ist dem heutigen Politikern noch nicht ganz gelungen, das Land zugrunde zu richten. Einige  Beharrungskräfte sind doch noch zu stark.  Stolz auf was? Heute ist wohl  eher Fremdschämen angesagt. Ich schäme mich für unsere Politiker.  

 Aber seien wir nicht ungerecht: Es liegt nicht nur an den handelnden Personen, es liegt auch am System. Hier muß sich unsere repräsentative Demokratie hiesiger Ausprägung durchaus die Systemfrage gefallen lassen. Schauen wir mal rüber in die Schweiz: Niemand würde den Eidgenossen absprechen, daß sie in eine demokratischen Staatsform leben. Die typisch Schweizer Tugenden wie Fleiß, Sauberkeit und Ordnung waren auch Eigenschaften, die man idealerweise uns Deutschen zugeschrieben hat. Ein kleines Beispiel für politische Kultur: In Zürich wird ebenso wie in Stuttgart der Bahnhof ins Unterirdische verlegt. In der Schweiz gab es darüber eine Volkabstimmung; die Mehrheit befürwortete das Projekt. Seitdem können dort die Bauarbeiten  ungestört vonstattengehen.

 Ich wünsche mir, daß ich wieder stolz sein könnte auf dieses Land. Es ist etwas faul in diesem Staate. Nicht in Dänemark. Hier bei uns. In Deutschland.

 Mit freundlichen Grüßen

   Bernd Ulrich

Nachtrag am 8.8.2015:

Sehr geehrter Herr Michels,

 in Ihrer Kolumne „Mit Verlaub“ hatten Sie letztens eine interessante Serie zum Thema „Politikerverachtung“ eröffnet. Inzwischen gibt es dazu eine neue Anekdote:  Als Angehöriger der Jahrgangs 1950 ist Ihnen, Herr Michels,  der Name „Beate Klarsfeld“ noch ein Begriff. Jene Dame, deren wesentliche Lebensleistung darin bestand, vor vielen Jahrzehnten einen amtierenden Bundeskanzler geohrfeigt zu haben.  Diese Person ist nun vor einigen Tagen mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt worden.  Die Moral von der Geschichte: Politikerverachtung zahlt sich aus. Es gibt sogar Orden dafür.

 Bettina Röhl, die leibliche Tochter von Ulrike Meinhof,  hat dazu einen lesenswerten Kommentar geschrieben: http://www.rolandtichy.de/daili-es-sentials/ohrfeige-fuer-alle-bundesverdienstkreuz-fuer-beate-klarsfeld/

Mit freundlichen Grüßen

Nachtrag am 7.9.2015:

Reinhold Michels hat mal wieder zugeschlagen. Hier der neueste Aufguss, veröffentlicht in der Rheinischen Post am 4. September:

geplapper

Geplapper von Reinhold Michels in der Rheinischen Post vom 4. September 2015

Ich antworte mit dem nachfolgenden Leserbrief:

Sehr geehrter Herr Michels,

das Thema läßt Ihnen offenbar keine Ruhe. Inzwischen haben Sie uns schon den dritten Aufguß zum Thema „Politikerverachtung“ serviert. Diesmal müßen unsere tätowierten Fußballspieler herhalten als Vergleichsobjekte zu der von Ihnen so hochgeschätzten Politikerkaste. Auf einen Unterschied möchte ich hinweisen: Während unsere Fußballer vor aller Augen wenigstens für zwei Halbzeiten Spitzenleistungen bringen müssen, ergehen sich unsere Damen und Herren Politiker hingegen in selbstgefälligen Darstellungen und Sonntagsreden. Das Parlament ist zum Austragungsort und Schaubühne eines permanenten Wahlkampfes verkommen, dessen Parolen ohnehin niemand mehr ernst nimmt, am wenigsten die Akteure selber. In den allabendlichen Talkshows gehen dann die Selbstinszenierungen weiter. Die eigentliche Arbeit vollzieht sich in den Ausschüssen, und die sind bekanntermaßen nicht öffentlich.  So war Demokratie nicht gemeint. Zur vertiefenden Lektüre zum Thema verweise ich auf die Arbeiten von Professor Hans-Herbert von Arnim, u.a.:

  • Die Deutschlandakte. Was Politiker und Wirtschaftsbosse unserem Land antun, C.Bertelsmann Verlag, München 2008, ISBN 978-3-442-15566-8.
  • Volksparteien ohne Volk. Das Versagen der Demokratie, C.Bertelsmann Verlag, München 2009, ISBN 978-3-570-10011-0.

Wenn unser Land   tatsächlich noch einigermaßen funktioniert, dann liegt das an einer seit Jahrzehnten eingespielten Verwaltung und den Institutionen, aber nicht am Wirken der Politiker. Deren Aktionismus ist eher kontraproduktiv. Beispiel Belgien: Die hatten fast ein Jahr lang keine funktionsfähige Regierung. Das Leben ging einfach weiter.

Ein Wort zu dem von Ihnen zitierten Politologie-Professor Frank Decker: Der hatte vor einigen Jahren sich in einen Interview für die Zeit ausgiebig und kritisch zu Thilo Sarrazins Werk „Deutschland schafft sich ab“ geäußert. In einem persönlichen Briefwechsel bekannte er dann, daß er zu diesem Zeitpunkt das Buch gar nicht gelesen hatte. Ich habe die Geschichte dokumentiert:

https://hansberndulrich.wordpress.com/2011/01/26/briefwechsel-zu-sarrazin/

Thilo  Sarrazin hatte dieser Episode später einen kurzen Abschnitt in seinem Buch „Tugendterror“, Seite 87,  gewidmet.

Schluss mit dem „Geplapper“, wie Sie es nennen.  Irgendwann wiederholen sich die Argumente und es wird langweilig.  Wie wäre es, wenn Sie sich in einer Ihrer nächsten Kolumnen mit den  Wechselwirkungen von  Medien, öffentlicher Meinung und Politik annehmen? Anschauungsbeispiele für die Mechanismen gibt es genug.

Mit freundlichen Grüßen

Bernd Ulrich


2 Kommentare on “Politikerverachtung”


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